Die Trainingswoche im Solent verging wie im Fluge. Der Tagesablauf war immer recht ähnlich: wir sind so gegen 7 Uhr aufgestanden, Dusche, Frühstück und dann etwas Theoriewiederholung für Themenbereiche, die in der Prüfung gefragt werden. Danach Start in den Tag und fortlaufendes Training verschiedener Manöver..
Zeitgleich waren zwei andere Boote von MCO mit Gezeitentraining unterwegs und die ursprüngliche Idee war, dass wir uns abends in den verschiedenen Marinas treffen wollten. Da das Gepäck von Gernot aber immer noch fehlte, kehrte unser Boot am Abend wieder zurück zur Hamble Marina, während die anderen Boote die folgende Nacht in Cowes verbrachten. Am 3. Tag segelten wir nach Portsmouth wo wir am Fuße des Wahrzeichens der Stadt dem "Spinnaker" in der Marina direkt neben dem Einkaufszentrum Hafenmanöver übten. Vorwärts, rückwärts, seitwärts in enge Liegeplätze an- und ablegen und das mit Wind und Strömung. Das war für die meisten ziemlich neu und ich habe einige Versuche gebraucht, bis alles halbwegs klappte. Unter der ständigen Beobachtung der Schaulustigen ist das ein kleine Herausforderung, aber es hat trotzdem echt Spaß gemacht. Im Solent und rund um die Isle of Wight gibt es eine Reihe von sehenswürdigen und tollen Zielen, wie z.B. Southampton, Portsmouth, Cowes, "The Needles", Beaulieu River um nur ein paar zu nennen. Nicht alle haben wir geschafft, da der Lernstoff Priorität vor dem Sightseeing hatte, dennoch haben wir eine ganze Reihe von verträumten Pubs, Restaurants und Marinas entdeckt.
Der Tag der Prüfung nahte und damit auch die Aufregung, ob man das Gelernte auch entsprechend abrufen kann.
Am Freitag morgen kam unser Prüfer nach dem Frühstück zu uns an Bord und wie man es in England auch erwartet, wollte er erst einmal eine Tasse Tee. Nachdem wir uns alle eine Tasse gemacht hatten, setzten wir uns mit Tee und Keksen bewaffnet um den Tisch und er erklärte, wie der Tagesablauf wäre, was ihm wichtig ist, worauf er besonders achtet und was auf keinen Fall passieren darf. Als Erstes verteilte er mehrere Themen zu denen Gernot und ich im Laufe des Tages einen kleinen Vortrag halten sollten und dann starteten wir mit den klassischen Hafenmanövern. Abwechselnd musste einer von uns die Schiffsführung übernehmen, während die anderen Crewmitglieder dem Steuermann bei den An- und Ablegemanövern mit den Festmachern assistierten. Nachdem wir dies etwa eine bis eineinhalb Stunden in allen Varianten demonstriert hatten, wollte unser Prüfer erst einmal wieder einen Tee, so dass wir im Laufe der insgesamt 18 Stunden Prüfung gefühlt mindestens 5 Liter Tee getrunken haben...
Nächster Agendapunkt war nun zu einem definierten Punkt auf der Karte zu navigieren, ohne Nutzung elektronischer Hilfsmittel. Mittels Handkompasspeilung zu verschiedenen markanten Punkten und Bojen musste das Boot möglichst genau auf den Punkt gebracht werden. Dies ist unter Segel etwas tückisch, denn man versucht entlang einer Standlinie zu segeln bis man dann eine 2. Peilung, die diese Standlinie kreuzt als Fix benutzt. Den Wind- und Strömungsversatz muss man dabei immer im Auge behalten und deswegen immer wieder auch die Standlinie überprüfen und den Kurs ggf. korrigieren. Dann folgte eine ähnliche Übung mit Berechnung von COG und COW sowie den notwendigen Vorhaltewinkeln sollte bei anliegendem Wind ein bestimmter Punkt auf der anderen Küstenseite getroffen werden. Glücklicherweise hat auch das gut geklappt.
Weiter ging es nach Portsmouth durch den "Inner Swashway", bei dem natürlich der Tidenstand zu berücksichtigen ist, da es ggf. sonst etwas zu flach für die Passage ist.
Im großen Becken von Portsmouth mussten wir dann Kreise segeln und an Bojen unter Segel und Motor festgemachen. Nachdem dies zur Zufriedenheit des Prüfers erledigt war, gab es erst einmal Mittagessen. Clemens bereitete dies zu, während Gernot und ich weitere Aufgaben erhielten und abarbeiteten. Das leckere Mittagessen hat sicherlich den Prüfer dazu bewogen, den einen oder anderen kleinen Fehler zu übersehen. Geprüft wurden natürlich auch MOB Manöver unter Segel und Motor aber auch diese verliefen ohne Probleme. Nach den ersten Vorträgen unsererseits u.a. zu Trimmmöglichkeiten an Bord, Stabilität des Bootes etc. segelten wir umher bis es dunkel wurde. Als draußen nur noch eine verwirrende Vielzahl von Lichtern der Gebäude und Boote zu erkennen waren, wurden wir zur verschiedenen Schiffen und der Lichterführung und Schallsignalen ausgefragt und erhielten zusätzlich die Aufgabe jeweils einen Pilotage Plan zu erstellen. Wir sollten entlang der Bojen erstens Richtung "Port Solent Marina" und dann Richtung "Heavy Reach" navigieren, während der andere Prüfling das Boot steuerte. Zunächst sieht es auf der Karte so aus, als wenn man entlang zweier Flussverläufe sich entlang der Bojen schlängelt. Bei Hochwasser ist jedoch das gesamte Gebiet überschwemmt und man hat das Gefühl, auf einem rieseigen See zu schippern. Es ist gar nicht so einfach, die richtigen Lichter zu finden, die man für die Route benötigt. Um die Distanz zwischen den Bojen besser einschätzen zu können, ist es wichtig im Pilotage Plan die Distanzen festzuhalten und das Boot mit einer konstanten Geschwindigkeit fahren zu lassen, so dass man über die verstrichene Zeit die richtige Entfernung ermittelt. Eine deutliche Kommunikation zwischen Navigator und dem Steuermann ist hierbei extrem wichtig. Auf meiner Strecke stand plötzlich mitten auf dem geplanten Kurs eine ausrangierte Fregatte, die es erst einmal zu umschiffen galt. Glücklicherweise konnte ich nach dem Umfahren des Schiffes wieder die richtige Boje finden, um die Route fortzuführen. Inzwischen war es schon so etwa 21 Uhr und wir dachten, dass ist die Prüfung bald vorbei sei. Doch es kam etwas anders: Der Prüfer fragte, ob er auf dem Boot schlafen könne, dann hätten wir jetzt noch etwas Zeit... Nachdem wir dies bejahten, wollte er zurück nach Cowes, dass wir so gegen Mitternacht nach einigen Radarübungen erreichten. Voller Vorfreude, dass es nun sicherlich bald vorbei wäre, legten wir an einem Steg hinter der East Cowes Marina an und waren uns sicher, dass dies das letzte Manöver des Tages wäre. Aber nein, wir verlegten noch einmal im Dunkeln und nachdem der Motor verstummt war, warteten wir auf die Aussage, dass die Prüfung beendet sei, aber wieder nicht. Unser Prüfer schlenderte zu einem anderen Boot, das auch gerade Prüfung machte und plauschte mit dem dortigen Prüfer für eine halbe Stunde. Als er zurückkehrte, meinte er jetzt könnten wir doch noch ein bisschen Wetterkunde machen und er zückte einen Stapel Wetterberichte und Karten und ließ uns diese interpretieren, Wolkenentstehung, Tiefdruckgebiete, voraussichtliche Windstärken etc. erklären. Inzwischen war es schon 2 Uhr als ihm auffiel, dass wir den Motor noch gar nicht besprochen hatten. Also Klappe auf und dann 45 Minuten Quiz zu allen Dingen, von denen man jemals im Motor gehört hat. Erst danach kam die Erlösung, dass die Prüfung nun beendet sei. Er gratulierte uns beiden und gab uns dann individuell noch ein Feedback über den Tag. Ehrlich gesagt waren wir inzwischen so müde, dass wir trotz der Freude über die bestandene Prüfung kaum noch Lust hatten ein Bier zu trinken. Aber musste dann doch noch sein... ;-)
Wenn man eines braucht für die Prüfung, dann ist es der "Reeds". Ich hatte den Almanach vor der Trainingswoche noch nie in meinen Händen gehabt und man muss sich in dem 1000 Seiten Schmöker für die Prüfung schon ein bisschen auskennen. Ansonsten ist es wichtig, sich permanent über den Stand der Gezeiten im Klaren zu sein, denn es kann sehr schnell flach werden und die Gezeitenströme sind zum Teil wirklich nicht zu vernachlässigen. Clemens macht das als Ausbilder echt klasse und herzlichen Dank nochmal an ihn und meinen Mitprüfling Gernot.
Das Revier rund um den Solent ist zu allen Jahreszeiten wirklich traumhaft und so werde ich sicherlich wiederkommen, um die Gegend weiter zu entdecken.
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